Was kann Kunst bewirken in einer Zeit, in der Menschen vor Krieg und Terror nach Europa fliehen, eine Pandemie weltweit die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben zum Stillstand bringt und damit Krisensituationen markiert werden, die immer weitere Kreise ziehen?
Die Künste mit ihren feinen Sensoren und ihrem antizipatorischen Denken fungieren in diesen Zeiten wie Seismographen, sie erspüren und nehmen vieles von dem vorweg, was sich der Allgemeinheit erst mit Verzögerung vermittelt. Kunst kann die Krisen zwar nicht lösen, aber sie kann den Blick dafür schärfen.
Hat Kunst somit eine systemrelevante Funktion?
Die Frage nach der Systemrelevanz (der Begriff stammt ursprünglich aus der Finanzwirtschaft), stellt sich unter dem Eindruck der seit dem letzten Jahr uns in Bann haltenden Pandemie in Bezug auf alle Branchen und Berufsgruppen. Die ganze Gesellschaft ist in weitreichender und in weltweiter Wirkung betroffen. Doch inwieweit greift der Begriff der Systemrelevanz auch auf die Kunst?
Systemrelevanz impliziert immer auch ihre Kehrseite: die System-ir-relevanz, also all das, was als verzichtbar gilt. Doch wie sähe eine Gesellschaft aus, wenn all das wegbräche, was im Lockdown als nicht-systemrelevant kategorisiert wird: Das gemeinsame lebendige Erleben von Theater, Film, Musik und Kunst? Gerade die Kunst spielt eine wichtige Rolle für die Selbstreflektion unserer Gesellschaft. Sie ist ein Spiegel, der den stetigen Wandel reflektiert, auch und gerade in dieser Zeit.
Ohne künstlerisches Schaffen und den lebendigen Austausch über die Werke der Kunst droht unsere Gesellschaft zu verarmen, droht unser Leben viel von dem zu verlieren, was es lebenswert macht. Daher ist Kunst immer systemrelevant.
Mit Daniel Kannenberg (Berlin), Anastasia Khoroshilova (Berlin/Moskau), Niklas Klotz (Linz/Österreich), Betty Rieckmann (Karlsruhe), Römer + Römer (Berlin), Robert Schittko (Offenbach am Main), Albrecht Wild (Frankfurt am Main/ DavisKlemmGallery Wiesbaden) und Deniz Alt (Frankfurt am Main) zeigen 8 Künstler*innen in der Ausstellung ART IN CRISIS?, die für einige Wochen in den Räumen der Galerie Lachenmann zu Gast sein wird, wie sie sich mit dem Thema „Krise“ in ihrem künstlerischen Schaffen auseinandersetzen.
Obwohl die Arbeiten der gezeigten Künstler*innen von einer großen Diversität hinsichtlich Material und Technik zeugen – von Malerei, Fotografie, Video über Lichtinstallation bis hin zu keramischen Skulpturen – eint sie der Fokus auf den Menschen (bzw. dessen Absenz), der als Teil der Gesellschaft lebt und in Krisenzeiten sich immer wieder neu orientieren und seine Lebensumstände anpassen muss. Dabei wird unter anderem die Frage nach einem würdevollen Leben unter extremen Umständen vielfach künstlerisch diskutiert.
Anhand eines breiten Spektrums künstlerischer Positionen verweisen die Künstler*innen in der Ausstellung nicht nur auf die Systemrelevanz von Kunst in der Gesellschaft, sie artikulieren vor allem die Verantwortung des Menschen für sein Handeln und die Bedeutung der Suche nach einer neuen Ethik angesichts von Krisen in der Gesellschaft. Sie zeigen auf, dass jede Krise auch die Hoffnung auf eine Veränderung hin zum Positiven in sich birgt und stellen die demokratisch-heilende Wirkung der Kunst nach Krisen in Aussicht. Denn Kunst wird heute nicht nur durch sich selbst bestimmt, sondern auch und vor allem durch soziale Entwicklungen. Daher besitzt Kunst tatsächlich das Potenzial, eine gesellschaftsverändernde Kraft zu sein.
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