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›Symbiose‹ 10/09/2016—05/11/2016

›Symbiose‹ 10/09/2016—05/11/2016

 

Konstanz + Zürich 10/09/2016—05/11/2016

Von vielen, die ihre Jugend mit Spraydosen und Graffiti verbringen, erwartet man nicht zwingend, dass sie eines Tages Malerei studieren und ihr Name ein fester Begriff in der internationalen zeitgenössischen Kunst wird. Ob es jemand von Lars Teichmann (Jahrgang 1980) erwartet hat, ist schwer zu sagen, aber beides stimmt: nach einer Jugend mit Graffiti und Zeichnungen begann er im Alter von 21 Jahren, an der Universität der Künste in Berlin Malerei zu studieren. Unter den wenigen Büchern, die er 2002 von Chemnitz nach Berlin mitnahm, befand sich „Der Bammes“, ein Lehrbuch zur Künstleranatomie, welches die zeichnerische Gestaltung von Körperausdruck, Haltung und Bewegung beschreibt. [International bekannt wurde Gottfried Bammes (1920-2007), Professor für Künstleranatomie an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden, 1964 mit dem Hand- und Lehrbuch für Künstler „Die Gestalt des Menschen“, das unter anderem in der DDR zum schönsten Buch des Jahres gekürt wurde (vgl. Börnicke, Reimar, 2007). Es wurde in verschiedene Sprachen übersetzt und gilt als zeitloses Standardwerk.]

Bis heute beschäftigt Lars Teichmann der Gedanke, dass handwerkliches Können (als Resultat gesehen, unabhängig davon, auf welchem Weg erarbeitet) die Grundlage für künstlerisches Schaffen ist: „Es ist auch von Vorteil, Fahrrad fahren zu können, wenn man ein Motorrad besteigen möchte.“ Und etwas weniger salopp gestaltet sich der Vergleich zur Musik: wenn die technische Grundlage, die Beherrschung des Instrumentes zugrunde liegt, beginnt die Interpretation, die Verfremdung, die Abstraktion – der künstlerische Ausdruck. Je weniger man weiß und kennt, desto weniger kann man verwenden; je mehr man gesehen, gelernt, begriffen, sich erarbeitet hat, desto mannigfaltiger die Möglichkeiten.
In Lars Teichmanns Werken klingen Bezüge zu Gemälden früherer Epochen an, er findet Inspiration in Kostümbüchern, auf historischen Photographien, in Romanen. Die dargestellten Figuren sind auf Teichmanns Leinwand oft größer als der Betrachter selbst, sie verharren in herrschaftlichen Posen, in ruhiger Haltung oder zu Pferd, sie tanzen und blicken uns gesichtslos entgegen. Der Künstler offeriert dem individuellen sowie kollektiven Bildgedächtnis eine neue Art der Wahrnehmung, lenkt den Blick auf reduzierte und schnörkellose Leinwände, die in ihrer Komposition einen so starken Ausdruck haben, dass sie gänzlich ohne überflüssige Attribute auskommen. 


Von 2002 bis 2008 studierte Lars Teichmann Bildende Kunst bei Prof. Wolfgang Petrick und Prof. Daniel Richter an der UDK Berlin. 2006 war er dort Meisterschüler bei Prof. Valérie Favre. Zahlreiche Einzel- sowie Gruppenausstellungen fanden bereits während des Studiums statt und führten ihn in den folgenden Jahren nach Mailand, Modena, Prag, Poznan, auf die 54. Biennale nach Venedig, München und viele weitere Orte. Seine Werke sind in öffentlichen sowie namhaften privaten Sammlungen zu finden; beispielhaft seien hier die SØR Rusche Sammlung, die Benetton-Foundation, die Berlinische Galerie, die Collezione Euromobil die Falze di Piave genannt.

Eine besonders große Freude war es vor zwei Jahren für unsere Galerie Lachenmann Art, dass Lars Teichmanns Arbeiten bei der Ausstellung „The Grand Opening“ zur Galerieeröffnung in Konstanz zu sehen waren. Seitdem verbindet uns eine enge Zusammenarbeit und Freundschaft, die wir mit der Einzelausstellung „Symbiose“ feiern möchten. Die zehnte Ausstellung in unserer Galerie in Konstanz verbindet sich symbiotisch mit der ersten Ausstellung im Satellite Office in Zürich; die in Deutschland und in der Schweiz parallel stattfinden Ausstellungen sind inhaltlich miteinander verbunden und ergänzen sich auf eindrückliche Weise. Beide Segmente hinterfragen die Schwerpunkte im Werk von Lars Teichmann auf eine Art, wie sie sonst nur in Museen möglich ist.


Mein herzlicher Dank gilt an dieser Stelle Anita Gödiker und ihrem Team vom Satellite Office Business & Conference Center sowie dem Schweizer Kunstsammler Michele Martucci, mit denen die Zusammenarbeit eine große Freude und Inspiration ist. Eine Ausstellung solchen Umfangs an zwei Orten in zwei Länder vorzubereiten und zu organisieren, bedarf der Hilfe vieler weiterer Hände und Köpfe. Bei uns vor Ort in Konstanz bin ich Christina Wigger und Theresa Brauer für die engagierte Mitarbeit in allen Bereichen der Galerie sehr verbunden, Annette Apel aus Berlin verdanken wir die eindrucksvollen Photographien der Werke des Künstlers. Lars Teichmann selbst danke ich für sein Vertrauen, seine erfrischende und angenehme Art sowie die phantastische Zusammenarbeit.

Unser aller Engagement und unsere Begeisterung ließen und lassen uns zusammen wachsen sowie zusammenwachsen, eine außerordentliche Einheit bilden und eine – Symbiose.
— Juliane Lachenmann

Die parallel stattfindenden Ausstellungen in Deutschland und der Schweiz boten Interessierten die einmalige Gelegenheit, beide Bereiche im Abstand von nur einer Stunde gleichzeitig zu besuchen: Die Galerie Lachenmann Art zeigte in ihren Räumlichkeiten am Bodensee Werke des Berliner Künstlers Lars Teichmann in der Einzelausstellung "Symbiose", während parallel dazu ein zweiter Ausstellungsteil in den historischen Räumen des Satellite Office Business & Conference Center an der Bahnhofstraße in Zürich lief. 

Betritt man das Atelier von Lars Teichmann, an dessen Wänden großformatige Arbeiten aus der Classics-Serie hängen, fühlt man sich in einen Traum versetzt, der einem Bilder vor das geistige Auge führt, die aus einer längst vergangenen Zeit sind. Gehen wir gedanklich zurück in das 17. Jahrhundert, zu einem spanischen Maler des Barock, zu Diego Rodríguez de Silva y Velázquez, der als Porträtmaler am Hofe des spanischen Königs Philipp IV tätig war. Als einer der Wichtigsten seiner Zeit war er mit der Anfertigung von Portraits Angehöriger des spanischen Hofes betraut, entsprechend ihres Ranges, ihres Dienstgrades und ihrer Stellung wurden der König, die königliche Familie und Minister ins Bild gesetzt. Unzählige Betrachter kennen die herrschaftlichen Portraits, die artifiziellen Zeugnisse von Macht, Amt und Würde, die “Klassiker”.

Mit “Classics” unternimmt Lars Teichmann den erfolgreichen Versuch, die figurative Malerei und die gegenwärtigen Rezeptionsgewohnheiten zu hinterfragen. Mit respektvoller Geste löst er die Formen auf, die Repräsentanten des Hofstaates werden der Last ihrer Herrschaftssymbole entledigt und befreit.  Bildkonstruktion und entfesselte Expressivität ergeben ein spannungsreiches Gleichgewicht, innerhalb dessen der Künstler mit explosiver Dramatik Physiognomien eliminiert, wertvolle Brokatstoffe mit der Farbe förmlich zerreißt und die Gestalten aufbricht, die Protagonisten entblößt. Die hochgestellten Persönlichkeiten von damals werden durch Lars Teichmanns Transformation ihrer Bildnisse als kollektives Erinnerungsbild dargestellt: seine “Classics”-Serie ist eine Neuinterpretation der großen klassischen Themen der Portraitmalerei und verleiht ihr eine neue, Jahrhunderte übergreifende Sichtweise von Ästhetik und Schönheit.

Dieser Neuausrichtung hat sich Lars Teichmann verschrieben. Er verzichtet auf alles Überflüssige und Anektdotische, lässt es hinter dem dunklen Schleier der Jahrhunderte zurück und hebt durch diesen Kunstgriff die Figur in ihrer tiefen Ausdruckskraft in neue Höhen. Zugleich lässt er dem Rezipienten Raum für geistige sowie gedankliche Freiheit und eigene Interpretation und lässt sich ihn omnipräsent in seinen Werken wiederfinden.

Nicht zuletzt erzeugt der Künstler diesen Effekt durch die Ent-Individualisierung der Figuren, anstelle von geschönten Häuptern und klaren Gesichtszügen blickt der Betrachter in die hell-gleißende Unendlichkeit der immer fortwährenden, allgemein gültigen menschlichen Themen. Hochmut, Hass, Stand, Stolz und Macht verbünden sich mit Liebe, Ehre, Demut und Glaube; Zeit und Vergänglichkeit werden eins.

Helle Farbnebel, wie Blitze der Vergangenheit wirkend, welche uns ein Goldenes Zeitalter der Malerei ins Gedächtnis rufen, lassen die Figuren in all ihrer Schönheit und Präsenz geläutert erscheinen, und wir erahnen, dass sie auf ihrer Reise durch Zeit und Raum allen überflüssigen Tand hinter sich lassen konnten. Die Konturen leuchten, das dem Betrachter entgegen scheinende Hintergrundlicht umgibt die Figuren mit einem Nimbus, der sich neben den perlenden Lichtblitzen vornehm zurückhält.

Der Betrachter sieht sich einer klaren, reinen Figur gegenüber, die alles beinhaltet, was er selber in sich trägt. Lars Teichmanns Werke führen uns wieder einmal vor Augen, wie die menschliche Vergänglichkeit ihre Wahrheiten unabänderlich zum Ausdruck bringt.

 

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